Wieso das nicht stimmt uns was es damit auf sich hat
Modediagnose ADHS?
Nein, dass ADHS eine „Modediagnose“ sei, ist ein leider weit verbreitetes Missverständnis und schlichtweg falsch.

Was ich ständig dazu hören muss:
- Wieso werden plötzlich so viele mit ADHS diagnostiziert?
- Brauchen heute alle eine Diagnose, weil es schick ist?
- Hat jetzt schon jede*r ADHS?
- In den Sozialen Medien hört man auf einmal dauernd davon.
- Die Menschen sind doch bisher auch so zurecht gekommen!
Wenn du bisher vielleicht so ähnlich gedacht hast,
kannst du dich hier intensiver mit dem Thema beschäftigen!

Schluss mit dieser (f**k) "Modediagnose" Behauptung
Nochmals ganz deutlich: Es gibt keine Modediagnose ADHS!
Wenn es etwas gibt, das ADHS mit einer „Modediagnose“ gemein hat,
dann maximal, dass es bisher eine „unmodische Diagnose“ war.
Der entstandene Eindruck einer Modediagnose beruht auf der Wahrnehmung, dass die Anzahl der Diagnosen von ADHS in den letzten 20 Jahren zugenommen hat und daher als Trend oder überdiagnostiziert erlebt wird. Es gibt jedoch mehrere Gründe warum es scheint, dass „auf einmal“ viele Menschen diese Diagnose erhalten.
ADHS ist eine gut dokumentierte, wissenschaftlich erforschte, real nachweisbare und in der Medizin anerkannte neurologische Besonderheit.
Es ist keine neue Erfindung, sondern eine genetisch vererbte Abweichung der Botenstoffe und Vernetzungen im Gehirn, die seit Jahrtausenden beschrieben wird.
- bereits 400 v.Chr. beschreibt der Vater der Medizin Hippokrates erstmals passende Symptomkombinationen.
- 17. Jh. der Philosoph und Arzt John Locke berichtet von Kindern „die ihre Gedanken nicht davon abhalten können, abzuschweifen„.
- 1798 Arzt Alexander Crichton beschreibt eine „Aufmerksamkeitskrankheit„
- 19. Jh. medizinische Lehrbücher thematisieren „Hypermethamorphose„, „einfache Überregbarkeit“ und „nervöse Kinder„.
- 1902 Kinderarzt Georg Still hält Vorträge zum „abnormalen Mangel an moralischer Kontrolle“ und verstärkt so drastisch den Irrglauben, es handle sich dabei um einen moralischen Defekt, auf den mit mehr Anstrengung und Bestrafung zu reagieren ist.
- 1937 gelingt dem Arzt Charles Bradley mit dem „Hyperkinetischen Syndrom“ der Durchbruch. Er behandelt Jungen erstmalig mit Amphetamin! Was dazu führt, dass sie ruhiger werden und Rechenaufgaben lösen können. Das war ihnen zuvor auch bei größter Anstrengung nicht möglich.
- 1980 wurde im DSM III der Begriff „Aufmerksamkeitsdefizitstörung“ (Attention Deficit Disorder, ADD) eingeführt. Die American Psychiatric Association (APA) erkannte somit an, dass Aufmerksamkeitsprobleme auch ohne Hyperaktivität bestehen können.
Man unterschied erstmalig zwischen ADD mit Hyperaktivität (ADD-H) und ADD ohne Hyperaktivität, was die verschiedenen Erscheinungsformen der Störung besser abbildete. - 1987 wird die Erkrankung in ADHS umbenannt, wie sie bis heute heißt.
Die moderne Medizin hat die Diagnosekriterien zwar verfeinert und weiter zu den Hintergründen geforscht, doch ADHS ist keineswegs neu. Die heutigen Erkenntnisse basieren auf einer Fülle wissenschaftlicher Studien, die neurologische, genetische und psychologische Aspekte eingehend untersucht haben.

Haben jetzt alle ADHS?
Nein, der zahlenmäßige Anstieg bei den Diagnosen ist auf mehrere logische Faktoren zurückzuführen.
gesteigertes Bewusstsein, neue wissenschaftliche Erkenntnisse
und verbesserte Diagnosemethoden
In den letzten Jahrzehnten hat sich das Verständnis von ADHS erheblich verbessert und weiter entwickelt.
Früher wurde es einfach sehr oft übersehen, insbesondere bei Erwachsenen und Mädchen.
Das ist darauf zurück zu führen, dass die Symptome bei diesen Gruppen anders ausgeprägt sein können als bei männlichen Jugendlichen oder Kindern. Darin liegt auch der Irrglaube begründet, dass ADHS nur bei Buben auftritt und sich mit der Zeit „auswächst“. Hinzu kommt, dass auch die Medizin diese Annahmen lange vertreten hat. Heute weiss man, beides stimmt schlichtweg nicht. Alleine die Symptome präsentieren sich dem Umfeld häufig unterschiedlich, doch es gibt ADHS ebenso bei Mädchen und es besteht meist ein Leben lang.
jetzt auch für Erwachsene
Wie erwähnt, war ADHS bei Erwachsenen bis vor Kurzem ein blinder Fleck.
Mädchen und Frauen wurden prinzipiell nicht mit ADHS diagnostiziert und trotz gestellter Diagnose im Kindesalter, wurden junge Männer als Erwachsene nicht weiter behandelt. Allen Betroffenen die bis dato nicht diagnostiziert wurden, war die Möglichkeit eine Diagnose und somit Hilfe zu bekommen, mit Erreichen der Volljährigkeit verwehrt.
Erschreckende und zugleich vielsagende Fakten für Europa:
- Im ICD-10 von 1992 wurde ADHS als eine spezifische Diagnose für Kinder unter der Kategorie „Hyperkinetische Störungen“ klassifiziert. Erwachsene mit ADHS wurden nicht spezifisch erwähnt, aber es wurde allmählich anerkannt, dass die Symptome auch im Erwachsenenalter fortbestehen können.
- Erst im ICD-11 der 2018 veröffentlicht wurde, wird ADHS als eine Störung beschrieben, die sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen auftreten kann. Dies markiert einen Meilenstein, da erstmalig explizit anerkennt wird, dass ADHS eine Störung ist, die im Erwachsenenalter diagnostiziert und behandelt werden kann.
- Die medikamentöse Behandlung von ADHS bei Erwachsenen wurde in Österreich offiziell erstmalig im Jahr 2014 zugelassen. Davor war die medikamentöse Behandlung auf Kinder und Jugendliche beschränkt. Lediglich in Ausnahmefällen gab es sehr mutige Psychiater*innen, die Erwachsenen „off label“ und in Eigeninitiative Medikamente verschrieben.
anhaltend eher unter als über diagnostiziert
Die beschriebenen Neuerungen haben dazu geführt, dass mehr Menschen die nötigte korrekte Diagnose erhalten. Was früher als „unruhiges Kind“, „Plaudertasche“ oder „verträumter Erwachsener“ abgetan wurde, wird heute als ADHS erkannt und kann bei Bedarf auch gezielt behandelt werden.
So gesehen erhalten jetzt keinesfalls mehr Menschen die Diagnose als es nötig wäre. Es ist eher davon aus zu gehen, dass nach wie vor viele Menschen undiagnostiziert an ADHS leiden und sich auch keine passende Unterstützung holen können, auf Grund der fehlenden Diagnose und des leider anhaltend dünnen Wissens um ADHS. Die mittlerweile gültige Fachmeinung ist, dass die Dunkelziffer bei ADHS weit höher liegt als unsere aktuell belegten Zahlen. Es ist daher nicht überdiagnostiziert, sondern nähert sich nur langsam der Realität.
Wir werden also weiterhin mehr und das ist auch gut, richtig und wichtig!
Was schliessen wir daraus
Fazit
Es ist wichtig, ADHS als real, massgeblich, umfangreich und auch oft herausfordernd anzuerkennen.
Alleine schon um sicherzustellen, dass Menschen die darunter leiden die nötige Unterstützung und Behandlung erhalten. Denn – vorausgesetzt diese benötigen und möchten sie – steht ihnen Hilfe auch schlichtweg zu.
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